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List Forum 4/2024

Dominik Maltritz: Falsch informiert?! Die (Fehl‑)Einschätzungen der Bevölkerung über die Wirkungen eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen

Basierend auf einer repräsentativen Befragung untersuchen wir die Informiertheit der Bevölkerung über die Wirkungen einer allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen hinsichtlich der möglichen Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor einerseits und der Vermeidung von Opfern tödlicher Verkehrsunfälle andererseits. Im Rahmen einer ökonomischen Analyse der Wirkungen eines Tempolimits müssen neben positiven Wirkungen auch dessen negativen Konsequenzen betrachtet werden. Wir stellen daher im ersten Teil des Papiers die Ergebnisse der wissenschaftlichen Literatur hinsichtlich der wichtigsten positiven und negativen Konsequenzen überblicksartig dar.

 

Fritz Helmedag: Preissetzungsregeln für Kraftstoffe: Mehr Wettbewerb durch weniger Volatilität

Die 2013 eingerichtete Markttransparenzstelle für Kraftstoffe instruiert die Verbraucher über die aktuellen Preise an den Zapfsäulen, die sich lokal aber weitaus weniger unterscheiden als Verfechter des Informationsportals seinerzeit erwarteten. Anscheinend fördert ein erleichterter Konditionenvergleich das Parallelverhalten der Anbieter und vermindert die Rivalitätsbeziehung unter den Verkäufern. In einem recht allgemein formulierten Modell werden die beiden grundsätzlichen preispolitischen Alternativen gegenübergestellt, um eine Regulierungsvorschrift abzuleiten, die eine schärfere Konkurrenz zwischen den Tankstellenbetreibern erwarten lässt. Die damit verbundene temporäre Preisbindung verspricht, die Effektivität der Markttransparenzstelle zu fördern.

 

Alfred Greiner: Uncertainty of climate models and policy implications: a European perspective

In this paper we show that both climate models and economic models studying the effects of climate change are characterized by high uncertainty. Hence, far reaching policy implications such as the net zero goal lack a definite scientific foundation. Nevertheless, it cannot be excluded that the continued global warming will go along with high damages in the future. Therefore, decreasing greenhouse gas emissions could be justified due to the precautionary motif. However, there are strong signals from non-European economic regions that they definitely put a higher weight on economic growth rather than on greenhouse gas mitigation. The reduction of greenhouse gases in the European Union cause tremendous costs without influencing the climate on earth. Further, these investments do not raise the aggregate stock of productive capital nor do they lead to factor augmenting technical progress. Therefore, the net zero goal of the Green Deal of the European Union is to be seen sceptical.

 

Manuel Frondel: Statt Heizungsverbot: Vertrauen in den Emissionshandel und viel mehr Zeit für die Wärmewende!

Noch ehe die Wirkung der zu Beginn der Dekade eingeführten Mannigfaltigkeit an Maßnahmen zur Senkung der Emissionen des Gebäudesektors gut erkennbar war, wurde im Jahr 2023 ein faktisches Verbot des Einbaus von reinen Öl- und Gasheizungen ab dem Jahr 2024 gesetzlich verankert. Dieses Verbot wird von rund vier Fünftel der Bevölkerung abgelehnt und hat zu einer vorhersehbaren Vorziehreaktion geführt: Im Jahr 2023 wurden rund 0,9 Mio. neue Gas- und Ölheizungen installiert, sodass es insgesamt zu einem Rekordzubau von über 1,3 Mio. neuen Heizungen kam. Eine ähnliche Vorziehreaktion gab es vor der Einführung des Erneuerbaren-Wärmegesetzes in Baden-Württemberg im Jahr 2010. Es wäre angesichts der massiven Ablehnung des Verbots durch die Bevölkerung klüger und ökonomisch vorteilhafter gewesen, wenn die Wärmewende stattdessen dem ab dem Jahr 2027 startenden separaten EU-Emissionshandel für die Sektoren Wärme und Verkehr überlassen worden wäre. Mit Hilfe dieses zweiten Emissionshandels können die Emissionen der beiden Sektoren entlang politischer Vorgaben sukzessive und in kosteneffizienter Weise gesenkt werden: Die Emissionen würden dort in Europa vermieden, wo es am kostengünstigsten ist. Die kostengünstigsten CO2-Einsparungen dürften jedoch kaum in der energetischen Sanierung von deutschen Altbauten und in deren Ausstattung mit teuren Wärmepumpen liegen. Maßnahmen, die nicht im Rahmen dieses zweiten Emissionshandels ergriffen werden, sondern auf nationaler Ebene zusätzlich verordnet würden, würden die Treibhausgasvermeidung allenfalls teurer machen, aber im EU-weitem Maßstab nichts zur Verringerung der Emissionen beitragen: Die dadurch frei werdenden Zertifikate werden von den am zweiten Emissionshandel beteiligten Inverkehrbringern fossiler Brenn- und Kraftstoffe erworben, wodurch andernorts in der Europäischen Union die Emissionen höher ausfallen (Wasserbetteffekt). Die Wärmewende in Deutschland über das Knie brechen zu wollen mit dem Argument, dass in der Vergangenheit dafür zu wenig getan worden ist, könnte sich daher mit der Etablierung des zweiten Emissionshandels als ebenso teuer wie nutzlos herausstellen. Die Wärmewende sollte aus diesem Grund nicht überstürzt werden. Vielmehr sollte man sich in Deutschland ein Beispiel an der behutsamen Wärmewende Dänemarks nehmen, die nach den Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre eingeleitet wurde und erst in der vergangenen Dekade in ein Verbot fossiler Heizungen mündete – zu einer Zeit, in der diese nur noch eine geringe Verbreitung hatten.

 

Andreas Seeliger & Jörg Meyer: Institutioneller Rahmen der deutschen Wärmeversorgung – Bestandsaufnahme und energiepolitische Handlungserfordernisse

Deutschland hat sich im Rahmen der internationalen Klimakonferenzen zu umfangreichen Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet. Während bspw. im Stromerzeugungssektor bereits große Fortschritte erzielt worden sind, blieben andere Sektoren hinter den Erwartungen zurück. Hierzu zählte auch der Wärmesektor, weshalb durch die Bundesregierung in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen in diesem Bereich beschlossen wurden. Die meisten einzelnen Gesetze und speziell das Maßnahmenpaket als Ganzes betrachtet weisen eine hohe Komplexität auf, die durch den Gesetzgeber nicht hinreichend gut kommuniziert wurde. Da das Paket in Summe auch deutliche Defizite bei wichtigen ökonomischen Kriterien wie Zielerreichung oder Kosteneffizienz aufweist, ist es wenig verwunderlich, dass die Politik im Wärmebereich hohe Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung und der Industrie hat. Weitere Kritikpunkte sind eine mangelnde Kontinuität, hohe Transaktionskosten und unausgewogene Verteilungseffekte. Der gesamte institutionelle Rahmen der Wärmeversorgung sollte daher überarbeitet werden. Darüber hinaus muss dringend die Kommunikation verbessert werden, da ohne Akzeptanz der Bevölkerung und Industrie die dringend erforderliche „Wärmewende“ aufgrund zurückgehaltener (oder überhaupt nicht mehr durchgeführter) Investitionen nicht realisiert werden kann.

 

Thomas Kollruss: Eigenkapitalähnliche Genussrechte und Effektivität der neuen deutschen Hinzurechnungsbesteuerung – Fallstudienanalyse und Folgerungen

Der Beitrag geht am Beispiel Deutschlands der Frage nach, ob die Beteiligung eines Steuerpflichtigen mit eigenkapitalähnlichen Genussrechten an der ausländischen Zwischengesellschaft der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegt. Diesbezüglich werden mittels Fallstudienanalyse verschiedene Beteiligungskonstellationen des Steuerpflichtigen an der ausländischen Zwischengesellschaft unter Einbezug von eigenkapitalähnlichen Genussrechten untersucht. Im Grundsatz fällt die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung des Steuerpflichtigen mit einem eigenkapitalähnlichen Genussrecht an der ausländischen Zwischengesellschaft unter die Hinzurechnungsbesteuerung. Jedoch können mittelbare Beteiligungen an der ausländischen Zwischengesellschaft grundsätzlich nicht erfasst werden in Fällen, in denen der Steuerpflichtige nicht am Nennkapital der vermittelnden Gesellschaft beteiligt ist, und an dieser nur ein eigenkapitalähnliches Genussrecht hält, wenn bei der ausländischen Zwischengesellschaft ausschließlich die Nennkapitalbeteiligung für die Gewinnverteilung bzw. Steuerpflicht der passiven Einkünfte maßgebend ist. Bei solchen Beteiligungskonstellationen weisen die Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung gegenwärtig eine strukturelle Schwäche auf im Hinblick auf die Ermittlung der Hinzurechnungsquote. Zur Neutralisierung dieser Schwäche wird eine umsetzbare legislative Lösung entwickelt. Die vorliegende Studie und ihre Ergebnisse sind von grundlegender Relevanz, da die Hinzurechnungsbesteuerung durch BEPS Aktionspunkt 3 und die EU Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie (ATAD)/RL (EU) 2016/1164 in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde.

 

Salvatore Barbaro: Die Besteuerung gesundheitsschädlicher Produkte

Neben der Umsatzsteuer unterliegt eine Reihe gesundheitsschädlicher Produkte einer spezifischen Verbrauchssteuer wie der Bier‑, Alkohol- und Tabaksteuer. In einer Gesamtschau dieser sin taxes offenbart sich ein Steuersystem voller Inkonsistenzen. Zum Beispiel unterliegt Bier einer speziellen Verbrauchssteuer, während der ebenfalls wegen seines Alkoholgehaltes gesundheitsschädliche Wein nicht spezifisch besteuert wird. Dieser Beitrag problematisiert die fehlende Systematik in der Besteuerung gesundheitsschädlicher Produkte. Diese Inkonsistenz rückt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Legalisierung von Cannabis besonders in den Fokus. Nach einer Bestandsaufnahme skizziert dieser Beitrag einen rationalen Besteuerungsansatz, der sich an den gesundheitlichen Risiken der Produkte orientiert. Dieser Ansatz identifiziert zwei mögliche Leitlinien der Besteuerung gesundheitsschädlicher Produkte: das jeweilige harm level des Produktes und die Preiselastizitäten.

 

Friedrich Heinemann, Katharina Nicolay & Daniela Steinbrenner: Die ermäßigte Umsatzsteuer in der Gastronomie – Bewertung und subventionspolitische Schlussfolgerungen

Nach einer kontroversen Debatte ist Ende 2023 die temporäre Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die Gastronomie in Deutschland ausgelaufen. Die Autorinnen und Autoren beleuchten dieses finanzwissenschaftlich und politökonomisch aufschlussreiche Fallbeispiel. Sie erläutern den steuersystematischen Hintergrund, der bei der Entscheidung über die Abweichungen vom Normalsatz gemäß EU-Mehrwertsteuersystem zu berücksichtigen ist. Nach steuersystematischen und politökonomischen Vorüberlegungen werden alle von Branchenverbänden vorgebrachten Argumente zugunsten der Ermäßigung geprüft. Diese betreffen (i) den Krisenkontext von Pandemie, Energiekrise und Inflation, (ii) unternehmerische Herausforderungen in Bezug auf Planbarkeit und Arbeitskräftemangel, (iii) Ungleichbehandlungen mit dem EU-Ausland und dem Außer-Haus-Verkauf sowie (iv) soziale Aspekte in Bezug auf Verteilungswirkungen, Kulturgüter, Nachhaltigkeit und Gesundheit. Insgesamt erweisen sich die Argumente zugunsten eines ermäßigten Steuersatzes als nicht stichhaltig. Aus den Erfahrungen zu den dennoch großen politischen Widerständen gegen die Rücknahme der temporären krisenbezogenen Steuersubvention folgt die Empfehlung, in künftigen Krisen vorübergehenden Finanzhilfen konsequent den Vorzug gegenüber Steuerermäßigungen zu geben.

 

Karsten Mause: Der Kompromiss in den Wirtschaftswissenschaften – ein Forschungsüberblick

In den vergangenen Jahren ist in den Sozialwissenschaften ein verstärktes Interesse am Kompromiss als Konfliktregelungstechnik zu beobachten. Dies manifestiert sich u. a. in neueren Büchern zum Thema und der Gründung von Forschungseinrichtungen, die sich mit Konflikten und Kompromissen beschäftigen. Vor diesem Hintergrund gibt der vorliegende Beitrag einen Überblick über den Stand der ökonomischen Forschung zum Kompromiss. Es zeigt sich, dass der Kompromiss in den Wirtschaftswissenschaften keine zentrale analytische Kategorie darstellt und es bislang keine ausgearbeitete ökonomische Theorie des Kompromisses gibt. Gleichwohl sind aber in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur Studien zu finden, die sich mehr oder weniger ausführlich und tiefgehend mit dem Kompromiss als Technik zur Regulierung bzw. Befriedung von Konflikten zwischen Individuen, gesellschaftlichen Interessengruppen und Staaten auseinandersetzen. Neben einer Bestandsaufnahme macht der Beitrag zudem auf Desiderata für künftige Forschungen in Richtung Kompromissökonomik aufmerksam.

 

Oliver W. Lerbs: Auswirkungen von Covid-Pandemie und Ukraine-Krieg auf die kommunale Investitionstätigkeit

Der vorliegende Beitrag untersucht mithilfe amtlicher Finanzdaten und Einschätzungen kommunaler Finanzverantwortlicher, ob und wie Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ihr Investitionsverhalten an die Covid-19-Pandemie und den Ukraine-Krieg angepasst haben. Trotz verschlechterter Rahmenbedingungen für Investitionen haben insbesondere kleinere und mittlere Kommunen ihre Sachinvestitionsausgaben „post Covid“ inflationsbereinigt gesteigert. Ohne Einfluss der Krisen wäre die kommunale Investitionstätigkeit aber insgesamt deutlich weiter vorangeschritten. Bei einem heterogenen Gesamtbild haben haushaltswirtschaftliche Faktoren und gesetzliche Pflichtaufgaben den größten Einfluss darauf, wie stark Investitionsausgaben vor Ort verändert wurden. Der Beitrag skizziert abschließend Implikationen des kommunalen Investitionsverhaltens „post Covid“ für Wirtschaftspolitik und Gesamtwirtschaft in Nordrhein-Westfalen.

 

Ronald Bachmann & Eduard Storm: Wie groß ist die Gefahr eines Fachkräftemangels in Zukunftsberufen?

Die digitale und ökologische Transformation verändert die Arbeitsnachfrage sowie die geforderten Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt. Dieses Papier untersucht die resultierende Gefahr eines Fachkräftemangels in zehn Zukunftsberufen und fünf deutschen Metropolregionen. Erstens wird die Entwicklung der Beschäftigung mittels administrativer Daten untersucht. Dabei zeigt sich ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum in Zukunftsberufen, besonders in digitalen Berufen wie der Softwareentwicklung oder grünen Berufen wie der Ver- und Entsorgung. Zweitens werden mit Hilfe von Online-Stellenanzeigen die Höhe der Arbeitsnachfrage nach Beschäftigten sowie die Nachfrage nach digitalen und grünen Kompetenzen innerhalb der Zukunftsberufe untersucht. Diese Analysen weisen auf unterschiedliche regionale Bewältigungsstrategien hin: Während digitale Berufe eine gleichmäßig hohe Nachfrage aufweisen, bestehen in grünen Berufen erhebliche regionale Unterschiede. Drittens zeigt eine Untersuchung des Arbeitsangebots aus dem tertiären und dualen Bildungssystem, dass das Arbeitsangebot, insbesondere in MINT-Fächern und dualen Ausbildungsberufen, hinter der wachsenden Nachfrage zurückbleibt. Abschließend wird erörtert, in welchen Berufen und Regionen zukünftig ein starker Fachkräftemangel zu erwarten ist und welche Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderung geeignet erscheinen.

 

Justus Haucap, Daniel Fritz & Susanne Thorwarth: Wettbewerb und Wettbewerbsverzerrungen am Messestandort Deutschland

Die Messewirtschaft ist in Deutschland durch eine Konkurrenz privater und öffentlicher Messeveranstalter gekennzeichnet. Im Gegensatz zu den privaten Veranstaltern sind die öffentlichen Messeveranstalter vertikal integriert: Sie besitzen und betreiben einerseits die lokale Messeinfrastruktur, veranstalten aber auch selbst zahlreiche Messen. Aus dieser Asymmetrie können Wettbewerbsverzerrungen entstehen wie etwa eine Selbstbevorzugung. Die Corona-Pandemie hat diese Problematik nochmals verschärft. Durch eine Selbstregulierung, etwa in Form einer Selbstverpflichtung zu einem Code of Conduct, könnte sich die Messewirtschaft verpflichten, nicht zwischen Eigen- und Fremdmessen zu diskriminieren, um eine wettbewerbsschädliche Selbstbevorzugung zu vermeiden.