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List-Forum 3/2024 (Sonderheft)

Justus Haucap: Vorwort zum Sonderband „Medienökonomik und Medienpolitik“

Kaum eine Branche ist so frühzeitig und so stark von der Digitalisierung erfasst worden wie die Medienbranche. Ausgelöst durch die Digitalisierung hat sich nicht nur der Wettbewerb intensiviert, weil zahlreiche unentgeltliche Angebote, die zwar nicht kostenlos für die Rezipienten sind, aber für die zumindest kein monetäres Entgelt verlangt wird, miteinander um Rezipienten und Werbekunden konkurrieren und auch den Bezahl-Angeboten das (Über‑)Leben schwer machen. Induziert durch neue digitale Angebote schreitet auch die Globalisierung der Medienbranche nahezu unaufhaltsam voran. Google, Meta, Netflix, Spotify und viele andere unterbreiten ihre Angebote heute rund um den Globus und können so enorme Skaleneffekte und damit Effizienzvorteile realisieren. Der vorliegende Sonderband des List Forums beleuchtet die Entwicklungen in der Medienbranche und die Herausforderungen für die Medienpolitik vor allem aus medienökonomischer Perspektive in insgesamt sieben Beiträgen.

 

Lars Feld, Clemens Fuest, Justus Haucap, Heike Schweitzer, Volker Wieland & Berthold Wigger: Für eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steht zu Recht in der Kritik. Mit dem technologischen Fortschritt und einem vielfältigen Medienangebot aus öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern, dem Internet, diversen Streaming-Diensten und sozialen Medien haben die Rezipienten ihr Nutzungsverhalten stark verändert. Zudem schwindet die normative Rechtfertigung und gesellschaftliche Akzeptanz des ÖRR, der für kostenintensive Ausgaben sowie eine zu unausgewogene und zuweilen verzerrte Berichterstattung kritisiert wird. Auf Basis einer Analyse des 3. und 4. Medienänderungsstaatsvertrags entwickelt der Kronberger Kreis acht konkrete Reformschritte zur Stärkung der Governance des ÖRR. Eine Umsetzung dieser Reformempfehlungen würde dazu beitragen, einen möglichst hohen gesellschaftlichen Mehrwert durch den ÖRR und das zur Verfügung stehende Beitragsaufkommen zu generieren. Dadurch ließen sich nicht nur die Kosten des ÖRR senken, sondern auch seine Akzeptanz in der Bevölkerung stärken – und damit die Integrationsfunktion, die der ÖRR erfüllen soll.

 

Maxi-Josephine Rauch, Jürgen Rösch & Björn A. Kuchinke: Economic perspectives on redefining public service media in the digital era: broadcasting to media platform

This paper examines the currently debated platform models of public service media (PSM) in Germany. As global platforms such as Meta, Netflix, and YouTube dominate the media landscape, PSM is shifting from linear broadcasting to digital platform strategies. This study analyzes 21 platform proposals and categorizes them into five archetypes using a taxonomy-based method and hierarchical clustering. The findings reveal a range of approaches, from pure public media platforms to hybrid models that include both public and private media organizations. However, despite the innovative character of these proposals, significant challenges remain, particularly in funding, governance, and aligning platform economics with public service media objectives. This research highlights the need to integrate a platform perspective further into the development of PSM strategies and address operational policy and market issues to ensure the successful transformation of PSM in the digital era.

 

Sahra Barhoumi: The development of media quality in the Digital Age

The Digital Age has revolutionized the media landscape, reshaping how consumers access and interact with content. Consumers now have access to a wide range of media content, from physical copies to digital downloads and streaming. This has led to content creators detaching from traditional publishing and self-publishing their content on platforms like Wattpad, SoundCloud, and YouTube. The Digital Age has also added more remedies to signal quality to consumers, such as online reviews and personalized recommendations. This paper aims to analyze the impact of the Digital Age on the quality of media content in three different media fields (books, music, and films and series) by conducting an online survey among 245 German-speaking internet users in May 2022. Findings reveal a significant increase in access to content creators and content availability for consumers in the Digital Age. Moreover, the Digital Age introduces mechanisms that assist consumers in evaluating content quality, mitigating the adverse selection problem. The study concludes that media content quality in the Digital Age surpasses that of the Pre-Digital Age. For an enhanced consumer experience in the field of books, media providers should reconsider their algorithms, prioritizing content over purchasing patterns. Caution is advised in reinforcing intellectual property rights, emphasizing the need for judicious application to preserve content creation incentives.

 

Ralf Dewenter & Jürgen Rösch: Plattformökosysteme und Presseerzeugnisse

Plattformökosysteme basieren typischerweise auf Plattformen, die mithilfe von Diensten und Inhalten die Aufmerksamkeit der Nutzer attrahieren, um diese dann den Werbekunden zu vermitteln. Oftmals werden die entsprechenden Inhalte jedoch nicht selbsterstellt, sondern vielmehr wie z. B. bei Presseerzeugnissen von Drittanbietern verlinkt. Die Verwertung der Inhalte erschöpft sich jedoch nicht auf eine Werbefinanzierung, sondern geht weit darüber hinaus. Im Rahmen einer sog. Envelopment-Strategie können damit z. B. Daten generiert, neue Angebote geschaffen und bestehende verbessert werden. Auch hilft es den Plattformen, Nutzer zu binden und länger im Ökosystem zu halten. Auf diese Weise lässt sich eine Wertsteigerung des Ökosystems herbeiführen, die jedoch nur schwer zu bemessen ist. Dieser Beitrag diskutiert verschiedene Möglichkeiten der Monetarisierung externer Inhalte am Beispiel der Presserzeugnisse.

 

Oliver Budzinski, Annika Stöhr & Jessica Schmid: Die Buchpreisbindung: Evergreen oder Auslaufmodell?

In diesem Beitrag werden das deutsche Buchpreisbindungsgesetz und seine Bedeutung im digitalen Zeitalter kritisch beleuchtet. Das Gesetz schreibt eine vertikale Preisbindung sowohl für physische als auch für elektronische Bücher vor, mit den Zielen die Titelvielfalt und den lokalen Buchhandel zu fördern. Wir untersuchen beide politischen Ziele aus ökonomischer Sicht. Im ersten Teil der Analyse wird untersucht, ob die Preisbindung tatsächlich die Titelvielfalt erhöht. Während das Gesetz es den Verlagen theoretisch ermöglicht, Nischentitel zu subventionieren, indem sie höhere Preise für Bestseller verlangen, deutet die empirische Evidenz darauf hin, dass sich die Titelvielfalt nicht wesentlich verbessert hat. Zudem hat das Gesetz eine regressive Wirkung, da es die Preise für Bestseller steigert, was sich unverhältnismäßig stark auf einkommensschwächere Konsumenten auswirkt. Im zweiten Teil der ökonomischen Analyse wird das Ziel des Gesetzes untersucht, den lokalen Buchhandel zu erhalten. Auch hier zeigt die empirische Evidenz, dass mit dem Aufkommen von Online-Plattformen und Digitalisierung die Verfügbarkeit von Büchern (physische und digitale Exemplare) besser erreicht wird, als durch die Preisbindung. Wir kommen zu dem Schluss, dass das Buchpreisbindungsgesetz auf dem heutigen sowie zukünftigen Buchmarkt nicht mehr wirksam ist, da Online-Plattformen und der digitale Vertrieb besser zur Erreichung beider politischer Ziele beitragen.

 

Xenia Fee Breiderhoff & Ralf Dewenter: Zur Aufhebung des Verbots regionaler Werbung für bundeweit sendende Fernsehsender

Bundesweit sendenden Rundfunkunternehmen ist es nach dem Medienstaatsvertrag (§ 7, Absatz 11 MStV) untersagt, „nichtbundesweite Rundfunkwerbung“ zu verbreiten. Das sogenannte Verbot regionaler Werbung wurde zwar vom Europäischen Gerichtshof als europarechtswidrig erklärt (C-555/19, 03.02.2021), dennoch sind sich die deutschen Gerichte nicht einige, ob das Verbot weiterhin anzuwenden ist. Auch ist bisher keine Anpassung des nationalen Rechts erfolgt. Der vorliegende Beitrag diskutiert die möglichen Auswirkungen eines Wegfalls des Verbots. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dadurch Effizienzen gehoben und der Wettbewerb intensiviert werden würde. Auch ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einer Einschränkung der Vielfalt durch starke Marktaustritte der lokalen Fernsehsender käme. Vielmehr geraten bundesweite Rundfunkprogramme als auch lokale und regionale Radiosender immer mehr durch die lokale Werbung der öffentlich-rechtlichen Sender in Bedrängnis. Wir plädieren daher für eine Aufhebung des Verbots regionaler Werbung und ebenfalls für ein Werbeverbot von öffentlich-rechtlichen Programmen.

 

Justus Haucap, Ina Loebert & Susanne Thorwarth: Ökonomische Auswirkungen eines Werbe- und Sponsoringverbots im geplanten Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) für die Medien- und Werbewirtschaft 

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) plant ein Gesetz zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker‑, Fett- oder Salzgehalt (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz – KLWG). Das BMEL möchte so Übergewicht und ernährungsmitbedingte Erkrankungen wie z. B. Adipositas bei Kindern und Jugendlichen reduzieren. Dem bisher bekannten Entwurf des Gesetzes zufolge würde jedoch nicht nur an Kinder, d. h. Personen unter 14 Jahren, gerichtete Werbung für Lebensmittel mit verhältnismäßig hohem Gehalt an Zucker, Salz oder Fett untersagt. Vielmehr würde das KLWG in der vorgeschlagenen Fassung ein nahezu generelles Werbeverbot für fast alle Lebensmittel jenseits von Frischfleisch, Frischfisch, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Milch und (ungesüßten) Säften implizieren. Ein Inkrafttreten des Gesetzes würde somit die Werbe- und Kommunikationsmöglichkeiten für (viele) Unternehmen in der Lebensmittelbranche massiv einschränken. Nicht nur auf dem Lebensmittelmarkt wären erhebliche Wettbewerbseffekte zu erwarten, sondern insbesondere auch in der Medienwirtschaft für privatwirtschaftliche Rundfunkunternehmen und Medienagenturen. Damit wirkt das geplante Werbeverbot als „Brandbeschleuniger“ für das schleichende „Mediensterben“ und gefährdet letztlich auch die Meinungs- und Medienvielfalt in Deutschland. In der Konsequenz droht vor allem im dualen Rundfunksystem eine fundamentale Verschiebung.