List-Forum 1-2/2024
Armin Steinbach: Einleitung: Digotale Ordnungspolitik
Die digitale Disruption erfasst sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Ihre technologische Dynamik befördert einen Strukturwandel, der eingespielte gesellschaftliche Konventionen ebenso in Frage stellt wie etablierte Geschäftsmodelle oder stabil geglaubte historische Konstanten. Zugleich schickt sie gesellschaftliche Stimmungen auf Berg- und Talfahrt. Zukunftsvisionen schwanken zwischen Dystopie und Utopie. Es ist ein Amalgam aus technischer Komplexität, entfesselter Innovationszyklik und sozialer Sprengkraft, aus dem sich die Pläne des optimistischen und entwicklungsoffenen Entrepreneurs ebenso speisen wie die Ängste einer in traditionellen Wirtschaftszweigen aktiven Arbeitnehmerschaft.
Die Entstehung und das Ende der Industriemoderne hängen grundlegend mit dem Wechselverhältnis von politischen Ordnungsversuchen und technologischen Innovationen zusammen. Dabei lässt sich kein eindeutiges Verhältnis bestimmen, vielmehr ergaben sich in den historischen Gesellschaften des Westens immer wieder komplexe Mischungsverhältnisse, die Umbrüche von gesellschaftlich-wirtschaftlichen Systemen bewirkten. Es ist problematisch, Wertungen mit den jeweiligen Ordnungssystemen zu verknüpfen. So stellt sich die rigide gesellschaftliche Ordnung der Vormoderne als unter ihren Bedingungen vergleichsweise funktional heraus, ohne zugleich Innovationen gänzlich im Weg zu stehen. Die Pioniergesellschaften Niederlande und Großbritannien konnten daher modellhaft Strukturen ausbilden, die in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften adaptiert werden konnten. Technologische Umbrüche wie die Einführung der Dampfmaschine oder die Telegrafie wirkten hier oft als Beschleuniger der Entwicklung. Weder von technologischen Basisinnovationen noch vom institutionellen Rahmenwerk ging allerdings ein Automatismus aus, wie sich bei der Rolle der Digitalisierung im Rahmen der Globalisierung und dem Ende der Industriellen Moderne seit den 1970er-Jahren zeigte, die vorbereitet und begleitet wurde von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die nachträgliche Kontrolle der Folgen on Digitalisierung und Globalisierung jedoch erschwerten.
Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einem zunehmend disruptiven Strukturwandel geführt. Die Frage, inwieweit die Politik den scheinbar unaufhaltsamen Prozess der Computerisierung und Digitalisierung nutzen, steuern und lenken kann, durchzog politische Debatten und Entscheidungen in Deutschland und Europa seit den 1960er-Jahren. Die Zeitgeschichte pdigitaler Ordnungspolitik in der Bundesrepublik, so zeigt dieser Beitrag, mutet schillernd an: Überzogene technokratische Vorstellungen einer politischen Steuerung der Computerisierung – und einer Steuerung mit dem Computer – der 1960er und frühen 1970er-Jahre kippten in angstvolle Debatten über einen drohenden Computer-Überwachungsstaat, den die neuen sozialen Bewegungen nährten. Die in den 1980er-Jahren noch kontrovers geführte Debatte über die arbeitsmarktpolitischen Implikationen der kommenden Informationsgesellschaft mündete indes in den 1990er-Jahren in einer in Teilen technikdeterministischen Politik: Bildung, Weiterbildung und eine weitaus höhere Flexibilität der Arbeitnehmer galten als Schlüssel dafür, dass Deutschland im globalen Wettbewerb bestehen könne. Aus zeithistorischer Perspektive verdeutlichen diese Erfahrungen und Fehlentwicklungen digitaler Ordnungspolitik, dass der digitale Wandel wertbasiert und langfristig gestaltet werden sollte.
Armin Steinbach: Digitale Souveränität
Digitale Souveränität beherbergt als disziplinär offen angelegte Kategorie eine Plethora gesellschaftspolitischer Defizitbefunde und normativer Gestaltungansprüche. Die Ordnungsökonomik justiert den Souveränitätsdiskurs entlang der Dimensionen der Konsumenten- und Bürgersouveränität als Teilmengen einer an Freiheitsrechten ausgerichteten Gesellschaftsordnung. Sie offerieren individuumszentrierte Analysekategorien zur Sichtbarmachung einer digitalisierungsinduzierten Ambivalenz: zwischen den emanzipatorischen Entfaltungsmöglichkeiten konsumtiver und partizipatorischer Präferenzmuster, einerseits, und den durch eine Extraktions- und Exekutionsarchitektur beförderten Verlust individueller Datensouveränität, andererseits.
Armin Steinbach: Wettbewerb in der digitalen Ökonomie
Es gibt kaum ein Thema in derWirtschaftspolitik, das weltweit so viele Kommissionen, Ausschüsse und ad-hoc Gremien beschäftigt hat, wie die Frage nach der „richtigen“ Wettbewerbspolitik in der digitalen Welt. Auch die Wirtschaftswissenschaften haben sich darauf eingestellt: Ein ganzer Forschungszweig, die Industrieökonomik, hat sich mittlerweile zu großen Teilen der Erforschung von digitalen Plattformen verschrieben. In diesem Beitrag gehe ich auf die ökonomischen Grundlagen der digitalen Ökonomie ein, die ein Umdenken in der Wettbewerbspolitik notwendig machten. In einem zweiten Schritt diskutiere ich ausgewählte Aspekte der legislativen Reformen in Deutschland und Europa unter Berücksichtigung der ökonomischen Grundlagen. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
Gerhard Wagner: Digitale Ordnungspolitik – Haftung und Verantwortung
Privatrechtliche Haftung ist ein wichtiges Steuerungsinstrument einer dezentral organisierten Wirtschaftsordnung. Anders als Regulierung, die potenziell gefährliche Tätigkeiten ex ante steuert, greift Haftung ex post ein, nachdem ein Schaden oder eine Gefährdungslage bereits eingetreten ist. Die wohlfahrtsmindernde Überregulierung von Tätigkeiten, die in Wahrheit gar nicht oder nur in geringem Umfang schadensträchtig sind, lässt sich dadurch vermeiden. Trotzdem generiert auch Haftung Anreize zum sorgfältigen, schadensvermeidenden Verhalten ex ante. Für die Wirksamkeit des Steuerungseffekts ist es essentiell, dass diejenigen Akteure haftungsrechtlich adressiert werden, die zur Kontrolle der jeweiligen Gefahr am besten in der Lage sind. Die Digitalisierung stellt das Haftungsrecht insofern vor Herausforderungen als neue Akteure die Bühne betreten, die als potenzielle Haftungssubjekte infrage kommen, nämlich Roboter und andere autonome Systeme sowie Plattformen, die das Internet erschließen und Nutzer miteinander in Kontakt bringen. Der folgende Beitrag analysiert die Haftungsverfassung digitaler Märkte im Hinblick auf die Verantwortung für autonome Systeme und digitale Plattformen.
Enzo Weber: Digitalisierung und Regulierung am Arbeitsmarkt
Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz stehen in der Agenda der Debatte um die Zukunft des Arbeitsmarkts seit Jahren an erster Stelle. Die Corona-Krise hat der Digitalisierung im Arbeitsleben nochmals einen plötzlichen Schub gegeben. Die Transformation der Wirtschaft und die Weiterentwicklung von Sozialstaat und Arbeitsgesellschaft stellen die entscheidenden Herausforderungen dar. Dieser Artikel diskutiert einige Kernfragen und politische Gestaltungmöglichkeiten: Grundeinkommen, Weiterbildungspolitik, Robotersteuern und soziale Sicherung.