List Forum 1/2019
Marco Pleßner, Justus Blaschke: Ratingagenturen – eine Analyse ihrer historischen Wurzeln
Ratingagenturen sind von den internationalen Finanzmärkten nicht mehr wegzudenken. Besonders in den USA, wo fast alle Unternehmen, die auf dem Finanzmarkt tätig sind, ein Rating von mindestens einer der drei renommierten amerikanischen Agenturen tragen: Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch. Aber auch in Deutschland lassen sich die großen Finanzmarktakteure von den drei Weltmarktführern bewerten. Die Entwicklung der Einflussmöglichkeiten steigt – gekoppelt an die zunehmende Regulierungsdichte – stetig an, obwohl die Ratingagenturen in den Augen von Kritikern Verwerfungen wie die weltweite Finanzkrise oder die Schuldenkrise der Eurozone begünstigt haben. Um die gegenwärtige Stellung der „big three“ nachvollziehen zu können, soll im Kern dieses Beitrags ein Blick in die Vergangenheit der Kreditratings stehen. Diese lässt sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen, in dem den Ratingagenturen der Weg von ihren Vorgängern, den Credit Reporting Agencies, geebnet wurde. Seither ist die Verantwortung von Ratingagenturen gegenüber Anlegern immer stärker in den Fokus gerückt, besonders jedoch seit der internationalen Finanzkrise. Die Haftungsfrage ist in diesem Zusammenhang eine Thematik, die im aktuellen Umfeld besondere Aufmerksamkeit genießt, da Ratingagenturen sich lange Zeit zumindest in den USA erfolgreich auf Meinungsfreiheit berufen haben. Bisherige Reformen der Europäischen Union sind mehrheitlich wirkungsarm geblieben und lassen in Verbindung mit dem Bestreben nach fairen und belastbaren Sovereign Ratings die Forderung nach einer großen europäischen Ratingagentur aufkeimen.
Charles Beat Blankart, David Christoph Ehmke: Die Föderalismus Formel
Die Bedingung für einen finanziell stabilen Föderalismus lässt sich in einer simplen Formel zusammenfassen: Die Kreise von Entscheidern, Zahlern und Nutznießern müssen weitestgehend übereinstimmen. Nur in diesem Fall institutioneller Kongruenz sind die richtigen Anreize für eine optimale Allokation von Ressourcen gesetzt. Herrscht hingegen institutionelle Inkongruenz, dann kommt es zur Fehlallokation von Ressourcen, typischerweise in steigenden Ausgaben und steigender Verschuldung.
Florian Follert: Zum Umgang mit Netzkriminellen: Ökonomische Überlegungen zu einem aktuellen Problem
Netzkriminalität und Datendiebstähle sind inzwischen zum festen Bestandteil der modernen Gesellschaft geworden. Jüngst erschütterte die Veröffentlichung persönlicher Daten zahlreicher Politiker das Land. Reflexartig werden härtere Strafen und weitere Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden gefordert. Im Gegensatz dazu plädiert die „positive“ Ökonomik dafür, potentiellen Netzkriminellen Anreize zu setzen, ihre Fähigkeiten auf legale Weise einzusetzen. Der vorliegende Beitrag stellt dieses alternative Konzept vor und zeigt, dass die Ökonomik fruchtbare Implikationen für den Umgang mit Netzkriminalität bietet.
Im Frühjahr 1817 unternahm der damalige Professor Friedrich List an der Universität Tübingen eine Reise nach Frankfurt a. M., wo zu dieser Zeit die berühmte Ostermesse stattfand. Dort traf er mit den Anführern der Kaufleute zusammen, die darüber klagten, dass die zaghafte wirtschaftliche Entwicklung unter den vielen Zollschranken und den Billigimporten aus England stark zu leiden habe. Deshalb forderten sie die Abschaffung der Binnenzölle und die Bildung einer Wirtschaftsunion. Im Auftrag der Kaufleute verfasste List seine berühmt gewordene Petition an die Bundesversammlung, die lose Interessenvertretung des Deutschen Bundes in Frankfurt. Als die Petition mit großem Beifall aufgenommen wurde, gründete List im Hochgefühl seines Erfolges spontan den „Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbsverein“ – die erste Interessenvertretung deutscher Kaufleute. Er legte damit den Grundstein für den politischen Prozess zur Gründung des Zollvereins von 1834, der wiederum die Vorstufe zur Gründung des Deutschen Reiches von 1871 bildete. Lists damalige Forderungen sind zurzeit wieder hoch aktuell.
Susanne Cassel, Tobias Thomas: Marktdesign: Grenzen des Wissens beachten
Der Staat legt durch die Wettbewerbsordnung und andere rechtliche Regeln den Rahmen für Märkte fest, auf denen Anbieter und Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen zusammentreffen. Dabei haben die Regeln einen entscheidenden Einfluss auf das Marktergebnis, also welche Preise und Mengen zu welcher Qualität realisiert werden. Marktdesign zielt darauf ab, Regeln für spezifische Märkte und Institutionen so zu gestalten, dass sie funktionsfähig und stabil sind. Wird Marktdesign von der Politik genutzt, ist es wichtig, dass die Ziele, die erreicht werden sollen, klar definiert und demokratisch legitimiert sind. Da Fehler beim Marktdesign, z. B. bei Ausschreibungen, Auktionen oder Vergabe, erhebliche Auswirkungen haben können, sollten Marktdesignprojekte zunächst sorgfältig getestet und mit einer ex-post Evaluation verbunden werden.
Susanne Cassel, Tobias Thomas: Die Antwort auf Roboter heißt Bildung und Beteiligung
In der öffentlichen Debatte tauchen immer wieder Horrorszenarien auf, wonach viele Arbeitsplätze durch den Einsatz von Robotern verloren gingen. Trotz vielfältiger Befürchtungen ist die Beschäftigung insgesamt durch technischen Fortschritt bisher nicht zurück gegangen. Im Gegenteil: So ist die Beschäftigung heute in Deutschland höher als je zuvor. Jedoch kann sich der zunehmende Einsatz von Robotern in der Produktion neben kurzfristigen Friktionen auf dem Arbeitsmarkt dämpfend auf die Löhne mittel gebildeter Arbeitnehmer bei gleichzeitig steigenden Gewinneinkommen auswirken. Um die Arbeitnehmer an den steigenden Gewinnen teilhaben zu lassen, sollten die Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung erweitert werden. Zudem sollte auf Bildung und beruflicher (Weiter-)qualifikation gesetzt werden. Keine sinnvolle Maßnahme ist hingegen eine Maschinen- oder Robotersteuer, mit der Investitionen, Wachstum und damit auch die Beschäftigung gebremst würden.
Justus Haucap: Zum Gedenken an Professor Dr. Mathias Erlei
Am 5. April 2019 ist Professor Dr. Mathias Erlei (TU Clausthal) im Alter von nur 55 Jahren völlig überraschend und unerwartet verstorben. Er hinterlässt seine Frau Christina und fünf Kinder. Mathias Erlei war seit 1992 Mitglied der List-Gesellschaft und seit 2015 Mitglied des Editorial Board des List Forums. Von 2013 bis 2017 war er Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Ausschusses im Verein für Socialpolitik. In dieser Funktion fungierte er auch als Gasteditor für den jährlichen Tagungsband der Ausschusstagung, der seit 2014 als Sonderheft des List Forums erscheint. Zuletzt hatten Mathias und ich ein umfangreiches Sonderheft zum Thema „Mainstream vs. heterodoxe Ökonomik: Forschungsprogramme im Vergleich“ herausgegeben. Das Erscheinen dieses Sonderbandes hat er leider schon nicht mehr erleben dürfen.
Die ursprüngliche Idee zu diesem Sonderband kam nicht von mir, sondern von Mathias Erlei. Und die Idee reflektiert sein Wirken und seine Einstellung sehr gut, denn zum einen waren seine Interessen – gerade für heutige Volkswirte – sehr, sehr breit und zum anderen war er offen für neue und alternative Theorien und Methoden. Er war ein echter Wissenschaftler, der immer wieder bestehende Orthodoxien hinterfragte. Und er war aus meiner Sicht ein echter Liberaler, der Pluralismus und Vielfalt als einen Wert betrachtete und zugleich vom Segen des Wettbewerbs als Entdeckungs- und auch als Selektionsverfahren überzeugt war. Während manche Volkswirte sich heute durch eine extreme Spezialisierung und teils auch gewisse Engstirnigkeit auszeichnen, war Mathias Erlei das Gegenteil: Er war in vielen Bereichen äußerst belesen und bestens informiert und er war vor allem offen für neue Ideen.
Seine wissenschaftliche Laufbahn begann mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Münster, wo er 1991 auch bei Manfred Borchert mit einer Arbeit über „Unvollkommene Märkte in der keynesianischen Theorie“ mit Summa cum Laude promoviert wurde. Ende des Jahres 1996 erfolgte ebenfalls in Münster die Habilitation mit einer Schrift über „Institutionen, Märkte und Marktphasen. Allgemeine Transaktionskostentheorie unter spezieller Berücksichtigung der Entwicklungsphasen von Märkten“, welche 1998 bei Mohr Siebeck erschien und die ich selbst in den ifo studien rezensieren durfte. Nach einer Hochschuldozentur in Münster und Vertretungen an den Universitäten Frankfurt und Essen war er dann ab dem Wintersemester 1999/2000 für fast 20 Jahre Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre am Institut für Wirtschaftswissenschaft der TU Clausthal.
Sein wissenschaftliches Werk umfasst zahlreiche Publikationen. Am bekanntesten ist vermutlich sein mit den Kollegen Martin Leschke und Dirk Sauerland verfasstes Lehrbuch „Neue Institutionenökonomik“, das zahlreichen Studierenden in den letzten 20 Jahren die Denkweise der Neuen Institutionenökonomik nahe gebracht hat. Darüber hinaus hat Mathias Erlei zahlreiche Bücher und Aufsätze verfasst, die einen weiten Bogen spannen. Sein erster Beitrag im List Forum drehte sich vor 25 Jahren um eine Betrachtung der Rauschgiftproblematik aus ökonomischer Sicht – ein Thema, zu dem er im Jahr 1995 als erster Ökonom in Deutschland auch ein Buch herausgab mit dem Titel „Mit dem Markt gegen Drogen!?“ und das ein Plädoyer für eine rationalere, stärker evidenzbasierte Drogenpolitik war. Andere Beiträge von Mathias Erlei behandelten so unterschiedliche Themen wie die institutionenökonomische Theorie der Religion, einen EU-Finanzausgleich, Vertrauensbildung im Internet, diverse organisations- und industrieökonomische Themen und immer wieder verschiedene wirtschaftsethische und methodologische Fragen. Insbesondere die Institutionenökonomik, die evolutorische Ökonomik und die experimentelle Ökonomik prägten sein Denken und gerade auf diesen Gebieten leistete er viele sehr wertvolle Beiträge zum wissenschaftlichen Diskurs und Erkenntnisfortschritt.
Neben seinen wissenschaftlichen Beiträgen war es Mathias Erlei aber auch stets ein Anliegen, die Einsichten der Ökonomik in eine breitere Öffentlichkeit zu transportieren. Seit 2010 war er einer der Autoren des Blogs „wirtschaftlichefreiheit.de“. In den letzten neun Jahren hat Mathias Erlei hier über 30 Beiträge verfasst, die einen ebenso weiten Bogen spannen wie sein wissenschaftliches Werk. Sein erster Beitrag aus dem Jahr 2010 trug den Titel „Der Segen der bösen und der Fluch der gut gemeinten Tat“ und drehte sich um eine wirtschaftsethische Betrachtung von Spekulanten. Sein letzter Beitrag vom 18. Februar dieses Jahres beschäftigte sich mit der Frage, wie hart die EU bei Neuverhandlungen des Brexits verhandeln soll.
Die List-Gesellschaft und das List Forum verdanken Mathias Erlei viel, er war ein inspirierender und sehr geschätzter Kollege. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Auch persönlich habe ich Mathias Erlei viel zu verdanken. Er war weit mehr als nur ein Kollege, uns verband ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Mathias Erlei war nicht nur externer Gutachter in meinem Habilitationsverfahren an der Universität der Bundeswehr Hamburg, sondern – insbesondere auch im Rahmen des Hohenheimer Oberseminars – ein äußerst konstruktiver Kritiker zahlreicher meiner Manuskripte und der meiner Doktorandinnen und Doktoranden. Seine stets konstruktive Kritik und seine Ideen haben mir oftmals sehr geholfen, meine eigenen Gedanken zu präzisieren und Thesen zu hinterfragen. Die List-Gesellschaft und die Herausgeber des List Forums werden Mathias Erlei sehr vermissen. Sein früher Tod hat uns sehr bestürzt. Seiner Frau und seinen Kindern gilt unser tiefes Mitgefühl.