List Forum 2/2020 (Sonderheft)
Gast-Editor: Henning Klodt
Henning Klodt: Renaissance der Markteingriffe?
Der Wirtschaftspolitische Ausschuss des Vereins für Socialpolitik hatte sich für seine Jahrestagung 2020 ein Generalthema gewählt, das seit Covid-19 eher noch an Bedeutung gewonnen hat – die staatlichen Markteingriffe. Bei der Konzeption der Tagung war das Thema noch mit einem Fragezeichen versehen worden, doch in den einzelnen Beiträgen wurde deutlich, dass es in den im Einzelnen diskutierten Bereichen zumeist entfallen kann. Sowohl in den Vorträgen als auch in den Diskussionen dazu wurde allerdings deutlich, dass per se kaum beurteilt werden kann, ob mehr Staatseingriffe gesellschaftlich vorteilhaft oder nachteilhaft sind. Oftmals steckt der Teufel im Detail, d. h. es kommt weniger auf das ob und mehr auf das wie an.
Hagen Krämer: Verteilungspolitische Interventionen
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Art und Weise die Verteilungspolitik in der heutigen Zeit ausgestaltet werden kann. Welches sind denkbare Ziele, welches mögliche Instrumente von verteilungspolitischen Interventionen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung? Sind weitgehende Eingriffe in Marktprozesse unvermeidbar, wenn die Ungleichheit der Einkommensverteilung reduziert werden soll? Oder sollten diese weitgehend vermieden werden?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird zunächst ein kurzer Überblick über wesentliche Denkrichtungen in den Wirtschaftswissenschaften gegeben, die sich damit beschäftigt haben, ob und wie stark der Staat die Einkommensverteilung beeinflussen sollte. Danach werden verschiedene Kriterien für distributive Gerechtigkeit besprochen. Anschließend wird ein vereinfachtes Schema für verschiedene Verteilungstypologien entwickelt, das unterschiedliche Vorstellungen von distributiver Gerechtigkeit abbilden kann. Abschließend wird der Versuch einer neuen Systematisierung der Distributionspolitik vorgestellt, mit der eine Erweiterung des üblichen Schemas „Primär- versus Sekundärverteilung“ vorgenommen wird.
Die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB-Digitalisierungsgesetz“) soll die deutschen Wettbewerbsregeln so reformieren, dass sie einen geeigneten Ordnungsrahmen für eine zunehmend digitalisierte Wirtschaft darstellen. Im vorliegenden Beitrag diskutieren wir den entsprechenden Referentenentwurf (Januar 2020) aus Sicht der modernen Wirtschaftstheorie. Dabei gehen wir insbesondere auf die Eignung der erheblichen Ausweitung der Missbrauchsaufsicht für einen besseren Wettbewerbsschutz in der Digitalwirtschaft ein. Die Schaffung eines Konzeptes überlegener marktübergreifender Bedeutung (ÜMÜB) sowie die stärkere Betonung relativer Marktmacht und ökonomischer Abhängigkeit sind dabei grundsätzlich zu begrüßen, um moderne Versionen des Behinderungswettbewerbs effektiver bekämpfen zu können. Allerdings fehlen stellenweise Schranken für zu weit gehende Interventionen in den Leistungswettbewerb. Kritisch ist hingegen, dass die Zusammenschlusskontrolle tendenziell geschwächt wird. Wir schlagen vor, im Gegenteil die Ex-Ante-Strukturkontrolle zu stärken, indem das ÜMÜB-Konzept auch in die Zusammenschlusskontrolle integriert wird. Dies würde den gewünschten Ordnungsrahmen für die Digitalwirtschaft verbessern. Schließlich hinterfragen wir die Auswirkungen der geplanten Novellierung auf das europäische System der Wettbewerbspolitiken.
Dieser Beitrag nutzt einen einfachen spieltheoretischen Rahmen, um die protektionistischen Tendenzen der jüngeren Vergangenheit als Ergebnis der Interaktion von politischen Entscheidungsträgern in zwei Ländern zu verstehen. Die (in diesem Rahmen: binäre) Politikentscheidung zwischen Protektionismus und Freihandel hängt natürlich von den erwarteten wahrgenommenen Ergebnissen dieser Politikoptionen ab. Die Wahrnehmung dieser Ergebnisse steht dabei im Fokus dieses Papiers. Es werden die Bedingungen untersucht, unter denen Freihandel das Ergebnis der beiden Politikentscheidungen bleibt bzw. wann sich dieses Ergebnis in ein protektionistisches Gleichgewicht ändert.
Gordon J. Klein: Die öffentliche Förderung des Breitbandausbaus, eine kritische Würdigung
Die Digitalisierung als ein Querschnittsthema betrifft verschiedenste Ebenen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Es ist somit wenig überraschend, dass Politik diesen Prozess gestalten möchte. Dabei werden verschiedene Akzente durch Förderprogramme gesetzt, von denen einige beispielhaft dargestellt werden. Im besonderen Fokus dieser Arbeit steht das Bundesbreitbandförderprogramm. Hier wird zunächst die Lage bezüglich des Ausbaus aufgezeigt, eine Übersicht über heterogene Fördermaßnahmen dargelegt und dann ein normativer Eingriffsbedarf ermittelt. Es folgt eine kritische Würdigung der aktuellen Förderung, bei der dargestellt wird, dass diese sehr weitgehend ist und dabei wahrscheinlich auch dort fördert, wo es auch ohne Förderung zu einem Ausbau gekommen wäre.
Gernot Sieg: Das verschmähte instrument der (Fernstraßen- oder City-) Maut
Seit langem werden von Ökonomen Straßenbenutzungsgebühren als Instrument gegen Verkehrsstaus empfohlen. In der Praxis gibt es jedoch nur wenige Anwendungen. In diesem Artikel werden die unterschiedliche Stautechnologien und die jeweils adäquate Maut identifiziert. Widerstände, die einer Maut entgegenstehen, und Möglichkeiten, sie zu überwinden, werden aufgezeigt. Es ist an der Zeit, den Einheitlichen Europäischen Mautdienst zu realisieren und einen Rechtsrahmen in Deutschland zu schaffen, der es Städten erlaubt, Maut zu erheben.
Mit der Implementierung des Bestellerprinzips – wer den Makler beauftragt, muss ihn auch bezahlen – hat der Gesetzgeber einen Wechsel der Zahllast für die Courtage vom Mieter zum Vermieter vorgenommen. Mit Hilfe eines sequentiellen Verhandlungsspiels wird hier diskutiert, inwieweit der Wechsel der Zahllast mit einer Veränderung der ökonomischen Traglast einhergeht. Es wird gezeigt, dass für plausible Parameterkonstellationen (i) die Makler verlieren in Form einer sinkenden Courtage, (ii) die Mieter gewinnen trotz Überwälzung der Courtage auf die Miete, und (iii) auch die Vermieter gewinnen trotz Übernahme der Zahllast der Courtage.
Angesichts der Alterung der deutschen Gesellschaft wird der Bedarf an Pflegedienstleistungen künftig zunehmen, und dies erzwingt, adäquate und bezahlbare Pflegekonzepte dort zu ermöglichen, wo der Bedarf entsteht. Drei idealtypische Pflegeheiminvestitionsbeispiele illustrieren, dass positive Projektgewinne in (sehr) zentralen Lagen schwerer zu erzielen sind als in der Peripherie. Dabei werden die Auswirkungen kritischer oder gesetzlich reglementierter Parameter, wie die maximale Heimgröße, auf die Rentabilität von Neubauvorhaben untersucht. Um diesen asymmetrisch wirkenden Anreizstrukturen entgegen zu wirken, könnte zum einen die Zugänglichkeit von Grundstücken in Ballungsräumen, z. B. durch städtebauliche oder erbbaurechtliche Verträge, erleichtert werden. Zum anderen könnten neben einheitlichen Mindeststandards die länderspezifischen Regelungen durch regionale Anpassungsfaktoren, zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Preisniveaus für Bauland, flexibler ausgestaltet werden.
Thieß Petersen: Fünf Thesen zu den künftigen Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik
Die wirtschaftspolitischen Probleme unserer Zeit werden immer komplexer und komplizierter – genauso wie ihre Lösung. Dabei spielen insbesondere fünf Herausforderungen eine zentrale Rolle für entwickelte Volkswirtschaften wie Deutschland: erstens eine wachsende Kritik am internationalen Handel, zweitens ein zunehmender Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines weiteren Wirtschaftswachstums, drittens komplexer werdende Verteilungskonflikte, viertens nachlassende politische Gestaltungsmöglichkeiten der Nationalstaaten und fünftens ein stärkerer Systemwettbewerb der Marktwirtschaften mit Schwellenländern. Die Corona-Pandemie wird zahlreiche wirtschaftliche Probleme wie z. B. die Einkommensungleichheit, die Verschuldung von Staaten und Unternehmen sowie den wachsenden Protektionismus verstärken. Eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaftspolitik in Deutschland besteht darin, dass die Zielkonflikte zunehmen, während die Lösungsmöglichkeiten der nationalen Politikgestaltung abnehmen. Eine Fokussierung auf die Allokationseffizienz ohne eine Berücksichtigung von Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung, der Auswirkungen auf Umwelt und Klima, auf immaterielle Lebensaspekte etc. wird zunehmend schwieriger. Die Entwicklung geeigneter wirtschaftspolitischer Maßnahmen wird dadurch zukünftig noch anspruchsvoller als sie ohnehin schon ist. Der Bedarf an einer theorie- und evidenzbasierten Wirtschaftspolitik, die diese Zielkonflikte adressiert, nimmt zu. Gefordert sind langfristig angelegte Maßnahmenpakete, die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikbereichen berücksichtigen. Das verlangt auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und eine größere Methodenvielfalt in der Forschung.
Michael Berlemann: Zum Gedenken an Professor Dr. Ansgar Belke
Völlig überraschend verstarb das langjährige Mitglied des Editorial Boards des List Forums für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Professor Dr. Ansgar Belke (Universität Duisburg-Essen), am 21. Juli 2020 im Alter von nur 55 Jahren in seiner Heimatstadt Münster. Sein viel zu früher Tod macht uns fassungslos und zutiefst traurig. Er hinterlässt seine Frau Claudia und seine drei Kinder Lennart, Anna und Henrik, denen unser tiefes Mitgefühl gilt.