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List-Forum 02-04/2021

Ronald Bachmann, Christian Rulff, Christoph M. Schmidt: Finanzielle Kompetenzen und Defizite in Deutschland – eine aktuelle Bestandsaufnahme

Die Anforderungen an die Finanzkompetenzen der Bevölkerung steigen aus einer Reihe von Gründen weiter an. Anhand des Datensatzes „Private Haushalte und ihre Finanzen“ zeigt diese Studie, dass in Deutschland generell ein relativ hohes Niveau an Finanzkompetenz vorliegt; dennoch besteht hier Verbesserungspotenzial. Dies gilt insbesondere für bestimmte sozio-demographische Gruppen wie Frauen, Personen mit Migrationshintergrund sowie finanzschwache Haushalte. Hieraus ergibt sich Handlungsbedarf, der für verschiedene Felder diskutiert wird. Es wird insbesondere empfohlen, Finanzbildung stärker in die Lehrpläne von Schulen zu integrieren, die Ausbildung von Lehrern in diesem Bereich zu verbessern, Bildungs- und Informationsangebote für Erwachsene zu stärken und die Transparenz von Finanz- und Versicherungsprodukten zu erhöhen.

 

Friedrich Heinemann: Die Überdeckung der Next Generation EU-Schulden im neuen EU-Eigenmittelbeschluss: Ausmaß und Haftungskonsequenzen

Diese Analyse befasst sich mit der Absicherung der EU-Schulden, die gemäß dem neuen EU-Eigenmittelbeschluss zur Finanzierung des EU-Corona-Wiederaufbauplans Next Generation EU (NGEU) aufgenommen werden sollen. Diese Absicherung erfolgt unter anderem durch eine gesonderte Eigenmittel-Nachschussverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten im Umfang von 0,6 % des nationalen Bruttonationaleinkommens (BNE). Simulationen zeigen, dass diese 0,6 % des BNE eine sehr starke Überdeckung darstellen, weil damit ein Tilgungspotenzial durch den EU-Haushalt geschaffen wird, welches den durch NGEU verursachten Rückzahlungsbedarf auch unter sehr vorsichtigen Annahmen zum BNE-Wachstum um ein Vielfaches übersteigt. Die Studie beleuchtet darüber hinaus die Signale, Anreize und Haftungskonsequenzen, die sich aus dieser weitreichenden Überdeckung der Corona-Schulden ergeben. Die bis zum Jahr 2058 reichende umfangreiche Tilgungsfähigkeit des EU-Haushalts geht weit über den eigentlichen NGEU-Bedarf hinaus und kann als Signal verstanden werden, dass in den kommenden Jahrzehnten bei Bedarf rasch neue EU-Verschuldungsfenster geschaffen werden können. Der Beitrag beleuchtet außerdem eine weitere Konsequenz der Überdeckung in Bezug auf die maximal denkbare Haftung des Bundeshaushalts für die NGEU-Schulden. Die Berechnungen zeigen, dass diese Haftung faktisch nicht wie beim Europäischen Stabilitätsmechanismus auf eine Teilschuld des Fonds begrenzt ist.

 

Monika Köppl-Turyna, Stefan Köppl, Johannes Berger, Ludwig Strohner: Determinanten und Effekte von Venture Capital und Private Equity: Eine Literaturanalyse

Die Entwicklung von Venture-Capital-Märkten stellt ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel dar und wurde insbesondere durch Instrumente der EU-weiten Politik, etwa des „Juncker-Plans“ oder European Investment Fund forciert

Im ersten Teil des Beitrags werden Effekte von Venture Capital (VC) und Private Equity (PE) auf verschiedene wirtschaftliche Variablen, wie Beschäftigung, Investitionen und Wirtschaftswachstum, untersucht. Hierbei liegt der Fokus auf dem Mehrwert für die Wirtschaft, die durch Venture Capital in Form von höherer Beschäftigung, Wertschöpfung oder Innovationstätigkeit generiert wird. Risikokapital ist sowohl mikro- als auch makroökonomisch ein wichtiger Entwicklungsfaktor für eine Volkswirtschaft, welcher mit höherer Innovation, Produktivität und allgemein positiven Entwicklungen in Verbindung steht

Im zweiten Teil analysieren wir, welche Standortfaktoren für Ansiedlung von Venture Capital und Private Equity Fonds maßgeblich sind, sowie welche Faktoren Nachfrage nach VC/PE erhöhen und im Gleichgewicht zur Entwicklung von VC- und PE-Märkten führen. Es stellt sich heraus, dass die Verfügbarkeit von Risikokapital und Private Equity von einer Reihe von Standortfaktoren abhängig ist. Hierbei sind sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite relevant. Wesentlich sind dabei fiskalpolitische, rechtliche und kulturelle Elemente. Insbesondere wurden Elemente aus Steuerpolitik, Regulierung, Gesellschafts- und Insolvenzenrecht u.Ä. identifiziert. Die Arbeit trägt zum besseren Verständnis für Erfolgsfaktoren einer Wirtschaft bei und ermöglicht es, umfassende wirtschaftspolitische Empfehlungen abzuleiten, um Standorte für Risikokapital und Private Equity attraktiver zu machen.

 

Hagen Lesch, Helena Schneider, Christoph Schröder: Anpassungsverfahren beim gesetzlichen Mindestlohn: Argumente gegen eine politische Lohnfindung

Die Mindestlohnkommission entscheidet alle zwei Jahre über eine Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns. Bisher orientierte sie sich dabei nachlaufend an der Tariflohnentwicklung. Das trug dazu bei, dass der Arbeitsmarkt den staatlichen Eingriff in die Lohnfindung gut verkraftete und die Tarifparteien trotz einer Beschränkung ihres Handlungsspielraums weiterhin gewillt sind, die Entgelte autonom auszuhandeln. Der Bundesarbeitsminister kündigte jedoch an, den Mindestlohn rasch auf 12 € je Stunde erhöhen zu wollen. Außerdem soll das Anpassungsverfahren beim gesetzlichen Mindestlohn verändert werden und bei der weiteren Entwicklung 60 % des Medianeinkommens (Living Wage) als Referenzgröße dienen. Mit einem solchem Systemwechsel, durch den der Staat dreimal so stark in das Tarifsystem eingreifen würde wie mit der Einführung des Mindestlohns 2015, würde die Tarifautonomie noch deutlicher eingeschränkt. Der Blick auf Frankreich und das Vereinigte Königreich zeigt, dass ein solcher Systemwechsel hin zu einem Living Wage durch Lohnsubventionen flankiert wird. Deshalb müsste bei der Diskussion über einen Systemwechsel beim Mindestlohn in Deutschland auch darüber gesprochen werden, ob die bisherigen Sozialleistungssysteme geändert werden müssen.

 

Victoria Böhnke: Regulierung des Schattenbankensektors: Der Fall des chinesischen BigTech Ant Group als Blaupause?

Der kurzfristig abgesagte Börsengang der Ant Group im November 2020 hat für Aufsehen an den internationalen Finanzmärkten gesorgt. Ant Group ist das auf Finanzdienstleistungen spezialisierte Tochterunternehmen eines großen chinesischen Technologiekonzerns. Eine Regulierungsänderung, die die Ant Group als Finanzholding einstuft und das systemische Risiko seiner Geschäftsaktivitäten begrenzen soll, zeigt, wie die chinesischen Behörden die Marktmacht großer Technologiekonzerne im Finanzsektor einschränken und so eine stärkere Regulierung des Schattenbankensektors umsetzen. Kann dieser Ansatz zur Regulierung des Schattenbankensektors in China ein Vorbild für die Europäische Union sein? Zunächst werden die Entwicklung des Schattenbankensektors und seine Bedeutung für globale Finanzstabilität sowie aktuelle Herausforderungen für die Regulierung diskutiert. Anhand einer Fallstudie zur Ant Group werden Chancen und Herausforderungen des Regulierungsansatzes der chinesischen Behörden erörtert und Implikationen für die Regulierung in Europa abgeleitet. Zusammenfassend erscheint eine Regulierung großer Technologiekonzerne, die umfangreiche, mit traditionellen Banken vergleichbare Finanzdienstleistungen anbieten, mit Blick auf die Finanzstabilität erforderlich, da diese über eine (potenziell) große Marktmacht verfügen.

 

Eugen Wendler: Erinnerung an die ehemalige „Friedrich List-Gesellschaft (FLG)“ – Würdigung ihres Initiators Edgar Salin sowie der anderen Herausgeber der Gesamtausgabe von Lists „Schriften/Reden/Briefen“

Unter den widrigsten wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und Bedingungen wurde die Friedrich List-Gesellschaft (FLG) 1925 gegründet und bis 1934 fortgeführt. Sie verfolgte vor allem den Zweck, die weit verstreuten, schwer zugänglichen und vielfach unbekannten Schriften, Reden und Briefe von Friedrich List (1789–1846) zusammenzutragen und in Form einer Gesamtausgabe zu publizieren.

Weder diese 10- bzw. 12-bändige Gesamtausgabe, noch die Namen ihrer Herausgeber haben in der Wirtschaftswissenschaft die gebührende Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfahren. Die längst überfällige Dankesschuld wird in dem vorliegenden Beitrag nach nahezu 100 Jahren abgetragen. Ohne den engagierten und mutigen Einsatz der Herausgeber, insbesondere von Edgar Salin, wäre die List-Forschung undenkbar und die deutsche Wirtschaftswissenschaft um ein ruhmreiches Kapitel ärmer.

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